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Jungmedizinerinnen und Jungmediziner

Weltfrauentag: My name is

Über den Weltfrauentag im Krankenhaus

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Mein Name ist nicht Mäuschen. Mein Name ist nicht Süße.

,,Schätzchen, ich hätte noch eine Frage.”

Ich drehe mich um, das Stethoskop in der Hand, die Blutdruckmanschette unter den Arm geklemmt. ,,Mein Name ist nicht Schätzchen. Ich habe einen richtigen Namen. Und, wenn Sie den nicht aussprechen können, dann können wir uns auf einen anderen einigen.”

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Ich gebe dem OP-Bett einen kräftigen Schub, um es in den Aufzug zu befördern. Meine Kollegin drückt einen Knopf und wartet. Schnell schlüpfe ich hinterher. 

,,Sie passen ja noch locker rein. Sie sind ja ein schmales Ding.”, erwidert der Patient. Ich sage nichts.

Meine Kollegin wendet sich an den Patienten. ,,Bei Ihnen hat man heute noch keinen Augendruck gemessen, oder?”

Ich antworte an seiner statt. ,,Doch, links 13,5 und rechts 18.”

,,Das schmale Ding ist ja aufmerksam.” 

Ich kneife unter meiner Maske die Lippen zusammen. Dann erwidere ich: ,,Mir gefällt der Spitzname nicht sonderlich.”

Der Patient lächelt. ,,Na dann bekommen Sie einen, der Ihnen besser gefällt.”

Ich nicke. Ich mag den Patienten. Wir verstehen uns.

____

Ich betrete das Herrenzimmer, um bei einem von zwei Patienten nochmals die Vitalwerte zu dokumentieren.

Sie unterhalten sich ausgelassen miteinander.

,,Weisch, jetzt ist schon wieder Frauentag. Haha, man jetzt werden die wieder gefeiert. Und wann werden wir gefeiert? Die armen Männer. Wir sind nur noch die Deppen.”

Der Patient wendet sich mir zu. Ich habe die Hände in die Hüfte gestemmt und die Stirn in Falten gelegt.

,,Schau mal fern, eh. Da merkst du’s. Die Männer sind nur noch die Deppen, in den ganzen Fernsehsendungen. Immer die blöden. Immer die dummen. Die armen Männer.”

Mein Stirnrunzeln vertieft sich. ,,Und Sie glauben nicht, dass es womöglich an der mangelnden Qualität der Fernsehsendungen liegt? Außerdem kommen die Frauen auch nicht gut weg. Zu theatralisch. Zu quengelig. Die Darstellung ist sicher auch nicht repräsentativ.“

Der Patient nickt. Die beiden merken, dass ich keine Lust habe, mich über den Weltfrauentag lustig zu machen. Ich scherze gerne mit den Patienten, das wissen sie. 

Doch ich hege nicht die Absicht, diesen Tag schlecht zu reden.

,,Gleichberechtigung von Mann und Frau feiern und fordern. Das finden Sie falsch?”

Im Gleichtakt ein Kopfschütteln der Herren. Der eine murmelt etwas von Emanzipation der Frau.

,,Klar ist es nicht leicht, sowas per Beschluss durchzusetzen. Ich bin auch kein Fan von Quoten. Schließlich geht es ja letzten Endes darum, ein Umdenken gewisser Menschen zu bewirken. Es fängt also im Kopf an, die Herren.”

Nicken. Ernste Mienen. Zustimmung. ,,Nein nein, da haben Sie schon Recht. Das ist schon wichtig.”, kommt es von einem.

Ich mustere die beiden. 59 und 72 Jahre alt. Man sollte meinen, alt genug, um sich angemessen zu benehmen. 

,,Die Emanzipation der Frau ist mit Sicherheit noch nicht abgeschlossen. Schauen Sie sich beispielsweise gewisse medizinische Fachbereiche an, die die reinsten Männerdomänen sind. Da wird es Zeit, dass ich die Ärmel hochkremple und den Laden mal so richtig aufmische. Ellenbogen raus.”

Die Männer schmunzeln ein wenig.

Ich ziehe die Blutdruckmanschette hervor.

,,Bei einem der Herren muss ich aber trotzdem erst noch den Blutdruck messen.”

Ich soll nicht dazu kommen. Denn, noch während ich die Kabel der Messgeräte entheddere sagt der Patient: ,,Bei so einer attraktiven jungen Dame geht der Blutdruck ja gleich hoch.”

Es ist der Standardspruch. Ich will schon resigniert aufseufzen, weil ich ihn alleine an diesem Tag bereits zum dritten Mal höre. Da fügt der Zimmernachbar hinzu: ,,Und andere Sachen gehen gleich noch mit hoch.”

Ich versteife mich.

Selbst der andere Patient ist überrascht. ,,Mensch, das kannst du aber wirklich nicht sagen.” Sein Tadel ist wertlos, denn er zieht die Decke bis zur Nasenspitze, um sein Kichern zu verbergen.

,,Leider bekommt man sowas als junge Angestellte, Famulantin oder Praktikantin, nicht selten zu hören. Was nicht heißt, dass es okay ist. Schon gar nicht, wenn man wenige Minuten zuvor noch von der Emanzipation der Frau sprechen wollte.”

Die Männer schauen nun beide beschämt drein.

,,Leider trauen sich viele aber auch nichts dagegen zu sagen. Aber ja, wie wir bereits festgestellt haben, besitze ich Ellenbogen und zögere nicht, die auch einzusetzen. In dem Sinne, Tschüss.”

In einer Bewegung rolle ich die Manschette auf, drehe auf dem Absatz um und verlasse das Zimmer ohne den Blutdruck zu messen.

Ich gebe meinen Kolleginnen Bescheid, dass das Zimmer von nun an jemand anders übernehmen darf.

Auf Nachfragen begründe ich mit Geschehenem. Mein Tonfall lässt kein ,,Jetzt stell dich nicht so an.” oder derartiges zu.

Erfreulicherweise werde ich hier ernst genommen. Doch ich weiß auch, dass das sicher nicht überall der Fall wäre. Wichtig ist es dennoch, dass man was sagt, dass man sich wehrt. Um seiner selbst willen.

Mein Name ist nicht Mäuschen. Mein Name ist nicht Süße.

Als Sitzwache wurde ich einmal von einem wütenden dementen Patienten mit seiner Toastscheibe abgeworfen, weil seine OP verschoben wurde. Um ein Haar hat mich die Scheibe verfehlt und landete stattdessen mit einem Flatsch an der Wand hinter mir. 

Als Pflegepraktikantin hat mich ein Patient mit KorsakowSyndrom einmal mit seiner Suppe angespuckt, nachdem ich versucht habe, ihn davon abzuhalten eine kleine Butter mitsamt der Verpackung zu schlucken.

Verhalten, das daneben ist. Verhalten, das ich eher zu dulden bereit bin, als das des Herrenzimmers.

Ich habe mich mit jungen Pfleger(inne)n und Mediziner(inne)n ausgetauscht. Die Bilanz, die wir in Anbetracht solch unangemessenen Verhaltens ziehen, ist besorgniserregend.

Ich sage nicht, dass Männer nicht auch derartiges erleben können. Und ich möchte noch weniger den Eindruck von Männerhass erwecken.

Was ich allerdings sage ist, dass man sich sowas nicht bieten lassen muss, soll oder darf.

Ich weiß zwar nicht, wie es ist eigene Kinder zu haben, aber ich bin die große Schwester von drei Mädels. Ich gebe mich nicht der Illusion hin, dass ich sie vor solchen Vorfällen bewahren könnte.

Aber ich wünsche mir, dass sie, falls sie in eine solche Situation kommen sollten, nicht zögern, die Ärmel hochzukrempeln und die Ellenbogen auszupacken.

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Zusatz: Erfahrungsberichte junger Pflegerinnen / Achtung obszön

Zwei männliche Patienten in einem Zimmer. Ich frage in die Runde: ,,Kann man Ihnen beiden noch was Gutes tun?”
Patient A: ,,Wunschlos glücklich, danke.”
Patient B: ,,Na schauen Sie mal an, jetzt können Sie jedem erzählen, Sie hätten es geschafft zwei Männer auf einmal zu befriedigen.”
Patient B lacht und zwinkert mir zu.
Von einem impotenten Patienten hören zu müssen, dass ich ja ,,Glück habe”, weil er impotent ist, da er sich sonst bei mir nicht zügeln könnte, das lässt mich Galle spucken.
Beim Leeren eines Blasenkatheters zu hören, dass ich als ,,Stripperin“ sicher gut geeignet wäre, ist sicher auch keines meiner Tageshighlights, nachdem ich mir in einer 9h-Schicht für solche Menschen die Fußsohlen wund laufe.Trotz hochgeschlossener Kasacks musste ich mir ungeheuerliches anhören, was man so mit meiner Oberweite anstellen könne. Komme bald nicht mehr darauf klar, wie normalisiert der ganze Scheiß ist. Selbst im Pflegeberuf.
Fazit: unangenehm zu lesen, aber noch unangenehmer zu erleben!

Autorin:

Audrey

Coucou, mein Name ist Audrey und ich bin eine aufgeweckte Medizinstudentin aus Freiburg!

Derzeit befinde ich mich ich im vierten Fachsemester Humanmedizin der Albert-Ludwigs-Universität. Ich bin unternehmungslustig, neugierig und nehme mich selbst meistens nicht allzu ernst. Hier schreibe ich ehrlich und ungeschönt über das Medizinstudium, das Studentenleben und so manches anderes.

Mach dir doch einfach dein eigenes Bild. Bis dann!

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