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Distanz zwischen Patient und Arzt / Ärztin

Krankenhauswelt: Distanz und Regenbögen

Für einen kurzen Augenblick ziehe ich meine Maske unters Kinn und recke die Nase in die Sonne. Sie lässt sich derzeit immer häufiger blicken, die Sonne. Doch man darf sich nicht täuschen lassen, auf dem Balkon ist es noch immer ziemlich kalt. Ich lehne mich an das Gerüst und blicke über das Klinikgelände.

Der Ausblick zieht mich immer wieder in seinen Bann. Ich bin niemand, der da einfach dran vorbeigehen kann. Für sowas  bin ich einfach zu anfällig. An meinem dritten Tag in der Augenklinik bin ich durch die Station gestürmt, damit ja niemand den schönen Regenbogen verpasst, der sich vor dem Fenster am Horizont abzeichnete.

Blick aus dem 8. Obergeschoss der Augen- und HNO-Klinik. 

Gegenüber Patienten hört man sowas seltener von mir. Nicht, weil ich sie nicht auch gerne auf die Aussicht hingewiesen hätte. Sondern eher, weil sich solch ein Hinweis erübrigt, wenn der Patient nicht mehr als grobe Silhouetten oder Kontraste erkennen kann.

Dann muss man einsehen, dass es sich um eine aussichtslose Angelegenheit handelt.

Schließlich will man dem Patienten nicht seine Einschränkung vor Augen halten.

Nun gut.

Manchmal schleiche ich mich, wenn sich Gelegenheit dazu bietet, kurz auf dem Balkon und trinke dort aus meiner Wasserflasche. Gelegentlich treffe ich auf Patienten, die aus ihrem Zimmer geflüchtet sind. Beispielsweise weil der Zimmernachbar jegliches Sonnenlicht meiden muss und deshalb alle Vorhänge zugezogen hat. Oder sie fühlen sich von dem Sonnenlicht genauso angezogen, wie ich es tue. 

In der Regel sind es die Patienten, die ein Gespräch mit mir beginnen. Womöglich sind es die weißen Klinikklamotten, die ihr Vertrauen wecken. Womöglich ist es auch etwas anderes. Die Pfleger meinten, ich würde den Patienten den Eindruck vermitteln, sie könnten sich mir anvertrauen, weil ich ihnen gerne zuhörte.

Was nicht ganz falsch ist. Ich habe im Laufe der Jahre viele Patientengeschichten gehört und gesammelt. Wenn ich etwas Wichtiges erzählt bekommen habe, scheute ich mich auch nicht, ihre Anamnesebögen zu ergänzen.

Schwierigkeiten, einen Draht zu den Patienten zu bekommen, habe ich jedenfalls nicht.

Es ist eine Eigenschaft, die bei den Pflegern gerne gesehen wird. Interessanterweise nicht unbedingt auch unter allen Ärzten. Ich habe den Eindruck, gerade unter den älteren Ärzten der ,,alten Schule“ lege man Wert auf andere Qualitäten. Hier ist jemand, der kühl und distanziert gegenüber den Patienten agiert, dafür jedoch ein besseres Zeitmanagement und eine bessere Objektivität aufweist, eventuell lieber gesehen.

Nun ja. Ich nehme an, das unterscheidet sich sicherlich auch, je nachdem auf welche medizinische Fachdisziplin man sein Augenmerk legt. Und natürlich hängt das sicher auch davon ab, wie die Institution geführt ist bzw. wo sie lokalisiert ist.

Gelegentlich reduziere auch ich den Patientenkontakt, wenn ich merke, dass ich Distanz brauche. 

Beispielsweise nachdem eine Patientin, derer ich mich viel gewidmet habe, direkt vor mir kollabiert ist. Da sie aus der französischen Schweiz kam, waren ihre Sprachbarrieren deutlich weniger ausgeprägt, wenn ich mit ihr französisch sprach. 

Ich weiß noch, wie ich vor ihrem Rollstuhl gekniet habe und ihre Hände in meinen Händen hielt, während sie sukzessive das Bewusstsein verlor. ,,Madame, ouvrez les yeux.”, sprach ich auf sie ein. Mit einem Tempo wischte ich ihren Sabber weg, während um uns herum hektisches Treiben herrschte. Assistenz- und Oberärzte wurden angepiepst. Pfleger eilten herbei. Die Patientin wurde verlegt. Ich merkte, wie ich den Anhänger meiner Kette rieb. Ich sorgte mich. Die Patientin kollabierte bis zu dem Tag ihrer Entlassung täglich. Ganz konnte man sich wohl nicht erklären, woher die Schwächeanfälle kamen. Oder weshalb sie stets um 10Uhr herum eintrafen. Einmal sprach mich die Putzfrau darauf an. ,,Audreiii, die Frau stirbt doch.”, sagte sie mit ihrem schweren portugiesischem Akzent. Ich beruhigte sie. Doch ich konnte nachempfinden, dass die Putzfrau so mitgenommen war.

Die Patientin wurde stabil entlassen. Doch ich frage mich auch heute noch gelegentlich, was aus ihr geworden ist. Ob sie noch lebt. Ob sie weiterhin dazu neigt, Agatha Christie auf französisch zu lesen. Ob sie auch heute noch das Buch gelegentlich falsch herum hält.

Erstaunlicherweise muss man in der Augenklinik besonders darauf achten, dass man das Leid der Patienten nicht zu nah an sich heranlässt. Schließlich verlieren die Patienten teilweise ihr Augenlicht und damit ihre Verbindung zur Außenwelt. Natürlich versetzt sie das in Angst und Panik. Natürlich deprimiert sie das.

Ich habe in der Notfallambulanz eine Untersuchung von einer jungen Ärztin mit einem älteren Mann erlebt. Er hatte zwei Gefäßverschlüsse, am rechten und am linken Auge. Beim linken Auge hatte es zur vollständigen Erblindung geführt. Dennoch musste man das linke Auge weiter behandeln, da sein Augendruck dort viel zu hoch war. Auch ich durfte bei dem Patienten den Augendruck abtasten. Der Druckunterschied war klar zu erfühlen. Der Umstand, dass man das Auge mit Laser behandeln wollte, weckte jedoch Hoffnung in dem Patienten. 

Die Ärztin erklärte dem Patienten klar und deutlich, dass man das Auge mit der Intention lasern würde, den Kammerabfluss zu verbessern, den Augeninnendruck zu senken und somit zu verhindern, dass er Schmerzen bekäme, geschweige denn sein Auge verlöre. 

Der Patient allerdings, der wollte nicht verstehen. Man sah ihm seinen Unmut an. Es tat mir aufrichtig leid. Doch die Ärztin sagte mit klarer Stimme ,,Sie werden auf dem linken Auge nicht mehr sehen können. Unser Ziel liegt darin, dass Sie das Auge behalten können.”

Die Besprechung des Gefäßverschlusses auf dem rechten Auge, einhergehend mit partieller Schädigung der Retina, entpuppte sich als weitere Herausforderung dieser Konversation. 

Die Klarheit der Ärztin nahm allerdings keinerlei Abbruch.  Nachdem sie den Patienten aufgeklärt hatte, führte sie seine Finger zu den Papierbögen, die er nun zu unterschreiben hatte. Fest hielt er den Kugelschreiber umgriffen, als er seine Unterschrift quer zwischen die Zeilen setzte.

Klar könnte man der Ärztin Kühlheit und mangelnde Empathie vorwerfen. Doch ich zog den Hut davor, wie souverän sie den Patienten behandelt hat. Es war genau das, was der Patient gebraucht hat, um sich über seine weitere Behandlung im Klaren zu sein. Ich kann nicht ausschließen, dass der Fall die Ärztin später noch beschäftigt hat.

Doch ich weiß, dass man daran zerbricht, wenn man keine Distanz wahrt.

Womöglich ist die Aussicht in die Ferne meine Form der Distanz zum Stationsgeschehen.

Doch, wenn ich angesprochen werde, dann lasse ich das zu.

Sollte ich merken, dass die Patienten auch gerne etwas von mir hören wollen, dann wende ich mich häufig wieder der Balkonbrüstung zu.

,,Schauen Sie sich mal das Klinikgelände an. So viele Menschen arbeiten hier. Sie bewegen sich zwischen den einzelnen Gebäudekomplexen. Sie laufen in Grüppchen und Scharen. Immer wieder weiße Klamotten, immer wieder kleine Menschen mit Kitteln. Von hier oben wirken sie wirklich klein. Wie Figuren eines Spiels. Sie leben hier in ihrer eigenen Welt.“

In der Regel kann ich dann mit ansehen, wie sich der Blick der Patienten verändert. Wie sie erkennen, was ich meine. 

Ich führe häufig interessante Gespräche mit den Patienten. Sie erzählen von sich, sie zeigen mir die Aufnahmen ihrer Bilduntersuchungen. Im Gegenzug erzähle ich von meinem Studium und von meinen Eindrücken des Klinikalltags. Somit gewähren ich Ihnen einen Einblick hinter die Kulissen. Ich meine, dass den Patienten das Gespräch gut tut. Dass sie sich danach weniger alleine fühlen.

Schließlich ist der Besuch bzw. Aufenthalt im Krankenhaus für Patienten oftmals verbunden mit einem Heraustreten aus der eigenen Komfortzone.

Auf der Station wird die Privatsphäre auf ein kurzes Klopfen der Mitarbeiter und einen kleinen Beistelltisch neben dem Bett beschränkt.

Die Dynamik des Krankenhauses ist sicher nicht selten befremdlich, wenn man keine der kleinen weißen Figuren auf dem Klinikgelände ist.


Autorin:

Audrey

Coucou, mein Name ist Audrey und ich bin eine aufgeweckte Medizinstudentin aus Freiburg!

Derzeit befinde ich mich ich im vierten Fachsemester Humanmedizin der Albert-Ludwigs-Universität. Ich bin unternehmungslustig, neugierig und nehme mich selbst meistens nicht allzu ernst. Hier schreibe ich ehrlich und ungeschönt über das Medizinstudium, das Studentenleben und so manches anderes.

Mach dir doch einfach dein eigenes Bild. Bis dann!

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