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Konflikt zwischen Schwestern und Medizinstudenten auf der Station der Augenklinik

UKRAINE: Zwiespalt auf Station

oder

HOW TO GET ALONG WITH THE STATIONSDRACHEN

Interne Einblicke in eine Station der Augenklinik

Ich steige die Stufen hinauf. Viertes Obergeschoss. Es ist nicht der vierte Stock der UB. Derzeit eher nicht.

Derzeit eher der 6. Stock der Augenklinik des Universitätsklinikums Freiburg.

Draußen scheint zum ersten Mal seit langem die Sonne. Ich bin gut gelaunt.

Ich tausche meine Jeans und mein Oberteil gegen die weißen Arbeitsklamotten aus. Dann begegne ich meinen Kollegen. Auch sie sind gut gelaunt. Es sind nur noch sieben Patienten auf Station. Es ist Samstag.

Die Woche war stressig. Teilweise super viele Entlassungen, super viele Neuaufnahmen. Viel zu managen. Viel zu versorgen. 

Doch heute soll entspannt werden. Sonntag ebenso. Alle sind gut gestimmt.

Es ist das Wochenende vor Rosenmontag. Meine Kollegin – nennen wir sie Tina – nimmt mich beiseite.

Sie hat ein Anliegen. Wir haben die Tage vorher schon viel darüber beraten. Die Idee und der Impuls kamen von ihr. Kinderkrankenschwester war sie früher. Kinderkrankenschwester ist sie noch immer mit dem Herzen. Das merkt man Tina an. Doch sie hat mich mit ihrem Eifer angesteckt. Sie kann sehr mitreißend sein. Gegen Ende wurde es ein bisschen unser beider Projekt.

Sie nimmt mich mit in den Pausenraum. Die benötigten Materialien thronen auf dem Fensterbrett.

Nach der Übergabe instruiert sie mich nochmal genauestens darüber, wie ich zu vorzugehen habe.

,,Ich vertrau auf dein Können. Aber ich möchte positiv überrascht sein, wenn ich morgen zur Arbeit komme.“

Sie steckt mir ein kleines Bündel grauer Kordel in die Brusttasche und verlässt die Station. Das erste Mal diese Woche wird sie pünktlich nach Hause kommen.

Allmählich trudelt der Spätdienst ein. Neben meiner Wenigkeit, eine Springerin und eine weitere Examinierte.

Ich erledige die Dinge, die ich mir auf meinem Übergabezettel notiert habe. Es fällt nicht mehr viel Arbeit an.

Dann begebe ich mich in die Küche. Ich unterhalte mich kurz mit der Examinierten.

,,Ich finde das nicht in Ordnung.“, wird sie sagen. ,,Das ist derzeit einfach unangemessen.“

Es folgt ein kurzes Gespräch. Wirklich nicht sehr lange. Dafür aber umso aufwühlender. 

Die Springerin, die ihrerseits eine kleine Aversion gegen die Examinierte hat, spricht mit mir über meinen Zwiespalt.

Es ist schwierig. Ich möchte niemandem auf die Füße treten. Ich habe mir vorgenommen, auf einer Station, die fast ausschließlich unter weiblicher Besatzung steht, nicht Teil von irgendwelchen Intrigen oder Lästereien zu werden. Nicht, dass ich sonst dazu tendierte. Ich bin in den meisten Fällen eher neutral gestimmt, empfinde Harmoniebedürftigkeit und den Drang zu Aufrichtigkeit. Doch interessanterweise wird meine Zurückhaltung hier für Schüchternheit gewertet. Und Schüchternheit wertet man als Einladung, mich in allerlei Vertrauliches einzuweihen. 

Nur für’s Protokoll: Ich bin nicht schüchtern, sondern lediglich erschöpft vom zurückliegenden Semester. Doch ich habe wenig Motivation, diesen Eindruck zu revidieren. Im Gegenteil. Ich fühle mich ganz wohl damit.

Die Examinierte ist die einzige Person, bei der ich mich vorsichtig verhalte.

Ich habe auf Anhieb gemerkt: sie ist der Stationsdrache. Sie ist die Person, die einen noch umherscheucht, wenn man denkt, man hat alles an Aufgaben erledigt, was der Stationsalltag so zu bieten hat. Sie ist wie eine Pistazie, die man schwer knacken kann.

Die Springerin hat mir erzählt, dass sie nach der ersten gemeinsamen Schicht bei ihrem Vorgesetzten mit ihr darum gebeten hatte, nicht mehr mit ihr zusammengelegt zu werden. Sie ist dementsprechend nicht gut auf die Kollegin zu sprechen und sieht in meinem Konflikt gefundenes Futter. Es ist keine konstruktive Konfliktlösung. Aber ich verstehe es. Ich habe den Eindruck, dass man es als Springer nicht immer leicht hat. Schließlich wird man häufig in eine vollkommen fremde Stationsdynamik und Mitarbeitermatrix geworfen. Da findet man nicht immer Anschluss. Da kann es leichter erscheinen, Konflikte einfach zu vermeiden, als sie zu lösen.

Derzeit ist nichts leicht in dieser Welt.

Ich blicke auf das Fensterbrett. Wirklich nichts.

Meine Kollegin und ich, wir hatten geplant die Station für Fasnacht auf Vordermann zu bringen.

Bunte Girlanden, Schleier, Bora Bora und Konfetti. Hauptsache bunt und glitzernd, in grauen Zeit. Hauptsache fröhlich, freudig und lustig. Damit alle mal wieder was zum Lachen hätten. Am nächsten Tage wollte ich noch Glitzer mitbringen. Meine Kollegin würde nach Schichtende Kuchen backen.

Ballons wollten wir an den Zimmertüren der Patienten anbringen. Auch die Namensschilder der Patienten wollten wir nicht verschont lassen.

Meine Kollegin hatte sogar ein quietschgrünes Gummitierchen mit übergroßen Augen besorgt, mit dem Gedanken, dieses am Stationseingang anzubringen. Ich schlug stattdessen vor, es im Stationszimmer der Ärzte zu positionieren. Ich bekam kichernde Zustimmung. Vor meinem geistigen Auge sah ich schon die freudigen Blicke der Patienten, Angehörigen, Pfleger und Ärzte.

Jeder, der unsere Station besucht, sollte bunt vorfinden.

Ich würde Freude am Dekorieren haben. Die Schaulustigen würden an meiner Freude Anteil haben. Freude ist eines der wenigen Dinge, die nicht weniger wird, wenn man es aufteilt.

Doch der Stationsdrache griff ein. Sichtlich aufgebracht: ,,Das passiert mir nicht während meiner Schicht.“

Ich sah mich zwischen den Stühlen. Schließlich hatte ich den Eindruck, ich würde Tina hintergehen, wenn ich die Station nicht schmückte. Dass sie enttäuscht von mir wäre, wenn ich die Pläne nicht in die Tat umsetzte.

Doch der Stationsdrache hat Recht. Derzeit herrscht Krieg in der Ukraine.

Ich habe meistens keinen Sinn für Feiertage. Fasnacht hat für mich ab dem Moment seinen Reiz verloren, als ich zu groß dafür wurde, von den Monstern auf den Umzügen entführt zu werden. Warum sollte ich sie auch ärgern, wenn mich keine der Hexen über die Schulter werfen und ein Stück mittragen würden? Die Süßigkeiten waren immer nur sekundärer Belang für mich gewesen.

Doch ich verstehe, dass Fasnacht dieses Jahr etwas besonderes gewesen wäre. Dass es vor allem die Kleinen gebraucht hätten. Die Fasnachtsmonster die sonst den Winter vertreiben, hätten dieses Jahr womöglich weitaus mehr böse Geister verscheuchen können als sonst. Ich sehe, dass es manchen gut getan hätte.

Doch wie rechtfertigt das zu ignorieren oder zu übergehen, dass gerade – nicht weit von uns – Krieg herrscht. Krieg ist niemals nötig. Doch dieser scheint besonders überflüssig. Überflüssig und grausam.

Wir haben im Universitätsklinikum ein Krisentelefon für alle Menschen eingerichtet – und man achte hier auf den genauen Wortlaut – die sich vom Krieg betroffen fühlen.

Die Lage ist dramatisch. Ich bin mir dessen bewusst, dass wir diese Worte die letzten Jahre viel zu häufig haben hören müssen.

,,Die Lage ist ernst. Die Lage ist dramatisch.“

Ich weiß nicht, ob die Sehnsucht nach bunt noch immer Überhand gewinnt, wenn wir nicht gerade die Ungerechtigkeit verdrängen, derer aktuell ein ganzes Land ausgesetzt ist.

Aktueller Stand der Ereignisse:

  • Russland greift die Ukraine an, auch zivile Ziele.

  • Es geht auch um die Kontrolle der Hauptstadt Kiew.

  • Dort werden Straßenkämpfe mit russischen Truppen gemeldet.

  • Präsident Selenskyj hatte vor einem Großangriff der russischen Kräfte auf Kiew gewarnt.

  • Auch in vielen anderen Landesteilen wird gekämpft.

  • Viele Menschen sind auf der Flucht.
  • [Quelle:Ukraine – aktuelle Nachrichten | tagesschau.de  ]

    Auch in Freiburg bekommt man etwas von den Auswirkungen der jüngsten Ereignisse mit:

    Demnach blicke ich den Stationsdrachen nur stumm an, als er verkündet, dass man die Deko bloß wegpacken solle.

    Ich blicke ihn an und sehe in den glasigen hellblauen Augen die Empörung. 

    ,,Ich habe vollstes Verständnis.“, sage ich.

    Die restliche Schicht verläuft zunächst geprägt von drückender Stille.

    Später sollte ich mich zu dem Stationsdrachen an den PC setzen. Da alles wichtige abgehakt ist, geht sie einigen Fortbildungen nach, die sie noch zu erledigen hat. Sie arbeitet akribisch vor sich hin. Gelegentlich bittet sie mich, ihr zu helfen, Unterlagen auszudrucken.

    Ich weiß, ich habe sie hier den Stationsdrachen getauft. Doch die Wahrheit ist: sie ist mir auf ihre Weise sehr sympathisch. Sie ist streng, damit komme ich klar. Sie hält mich auf Trab, damit muss ich wohl oder übel klarkommen.

    Doch was ich an ihr schätze sie für ihre Aufrichtigkeit. Sie hält es nicht für nötig, sich zu verstellen. Das kann ich längst nicht von jedem sagen. Ich bin vorsichtig ihr gegenüber, weil ich sie nicht verärgern möchte. Aber auch, weil ich nicht möchte, dass sie schlecht von mir denkt.

    Später wird sie mich fragen, wo meine Wurzeln liegen. Auf meine Antwort wird sie erwidern:

    ,,Ich bin Polin. Deswegen gehen mir die Ereignisse so nahe.”

    Ich blicke sie an und sehe, dass es ihr wirklich nahe geht. Ich bin keine Polin, keine Russin, keine Ukrainerin.  Ich kenne niemanden Betroffenes. Doch mir geht es auch nahe. 

    Krieg ist nichts für Jemanden der Kategorie Weltschmerz. Wobei Krieg für niemanden etwas sein sollte.

    Also sitze ich beim Stationsdrachen und helfe bei den Fortbildungen.

    Hierzu möchte ich auch eine kleine Anmerkung machen. 

    Die Abfragen, die die Pfleger hierbei bestehen müssen, überschneiden sich thementechnisch häufig mit dem, was ich für Medizinische Soziologie und Psychologie habe lernen müssen. Ich finde es sinnvoll, dass Pfleger genauso wie Ärzte an Fort- und Weiterbildungsprogrammen teilnehmen sollen bzw. müssen. Doch, wenn ich die hohe Anzahl an ausländischen Pflegekräften bedenke, wenn ich an ihre teilweise nicht unerheblichen Sprachschwierigkeiten denke, dann frage ich mich auch, was ein Begriff wie ,,Selbstreferentialität” in einer solchen Abfrage zu suchen hat. Geht das nicht in einfacher Sprache? Ich habe MedPsych damals mit 95% bestanden. Ich bin (u.a.) deutschsprachig aufgewachsen. Dennoch bin auch ich über einige Begriffe gestolpert. Ist es da ein Wunder, dass viele Pflegekräfte einfach Lösungen abschreiben oder ihre Kollegen ranlassen? Ich musste ,,Selbstreferentialität“ jedenfalls selbst erst einmal googlen.

    Ich unterhalte mich mit dem Stationsdrachen. Und zum ersten Mal habe ich das Gefühl, die Pistazie ein wenig geöffnet zu haben. Ich freue mich.

    Doch bei dem Zwiespalt ob nun bunt oder ernst angesagt ist, da bin ich noch zu keinem eindeutigen Ergebnis gekommen.

    Meine Tendenz liegt derzeit bei ernst. Schließlich möchte ich das Leid der Betroffenen nicht verleugnen. Mir erschiene es respektlos. Zumindest sagt mir das mein Bauchgefühl.

    Es bleibt nur eines übrig: Abwarten und auf das Beste hoffen. Möglichst bald, möglichst schnell.

    Denn eines ist klar: Krieg ist indiskutabel.


    Autorin:

    Audrey

    Coucou, mein Name ist Audrey und ich bin eine aufgeweckte Medizinstudentin aus Freiburg!

    Derzeit befinde ich mich ich im vierten Fachsemester Humanmedizin der Albert-Ludwigs-Universität. Ich bin unternehmungslustig, neugierig und nehme mich selbst meistens nicht allzu ernst. Hier schreibe ich ehrlich und ungeschönt über das Medizinstudium, das Studentenleben und so manches anderes.

    Mach dir doch einfach dein eigenes Bild. Bis dann!

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