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Gluteus Partymuss und lacuna vasorum II
Das Examen und die Testatparty
Ich wurde geprüft.
Wandelte zwischen den zwei Leichen hin und her. Wir hatten mit unserer Einschätzung recht gehabt: unser Körperspender lag auf dem Bauch, der des Nachbartischs lag auf dem Rücken.
Ein gutes Zeichen.
Aus dem Augenwinkel sah ich den Hiwi mit seinem gelben Kittel herumwuseln.
Der Dozent begann mit seinen Fragen, welche er sich im Vorhinein auf einem Zettel notiert hatte.
Als erste Struktur musste ich die Arteria femoralis zeigen und einiges über ihren Verlauf und ihre Versorgungsgebiete erzählen. Ich lief zu der Leiche des Nachbartischs und legte meine Finger in den Hüftbereich.
Ich griff nach der Arterie, als ob mein Leben davon abhinge. VAN. Jeder, der den Präpkurs hatte, weiß, was es damit auf sich hat. In der Fossa poplitea wäre es NIVEA, bei den Rippen wieder VAN.
Ich erklärte, was ich vor mir sah.
Manchmal stellte der Dozent Fragen, die so vage waren, dass ich nicht gleich wusste, worauf er hinaus wollte. Manchmal hakte ich dann genauer nach.
,,Achso. Das wäre die Lacuna Vasorum. Beziehungsweise hier das Ligamentum lacunare.“
Bei der Lacuna vasorum handelt es sich um eine Durchtrittsstelle, die ich meiner Mutter im Atlas gezeigt hatte, als ich ihr die Leistenhernien und das Ligamentum inguinale erklärt hatte. Ob sie sie wohl wiedererkannt hätte?
Vermutlich eher nicht.
Im Oberschenkelbereich kannte ich alle venösen Gegebenheiten. Die Arterien hatte ich allerdings ein wenig vernachlässigt. Ich improvisierte und versuchte mir meine Wissenslücke nicht anmerken zu lassen. Schnelle Überleitung zum arteriellen Verlauf im Unterschenkel. Hier fühlte ich mich wieder sicherer. Man erinnere sich an die Fußpulse, die ich meiner Schwester demonstriert hatte.
Es folgte der Musculus Rhomboideus.
Ich lief zu unserem Körperspender. Mein Dozent wollte Ursprung, Ansatz, Innervation, Versorgung, Funktion, Ausfallerscheinung und Gegenspieler hören.
Ich legte die Hände auf die Proccesi Spinosi und fuhr mit den Fingern den großen und kleinen Rhomboiden nach, während ich redete.
Ich konnte nicht auf Anhieb alle Gegenspieler nennen. Ich tastete mich erst an die Antwort heran, indem ich Muskeln erklärte und demonstrierte, welche an potentiellen Gegenbewegungen mitwirken.
Mein Dozent gab mir Hilfestellung und forderte mich auf, das Schulterblatt anzuheben und den darunterliegenden Muskel zu benennen. Auch hier dachte ich zunächst, er wolle auf einen anderen Muskel hinaus. Dann machte es Klick.
,,Der Musculus serratus anterior. Allerdings würde ich den lieber am Körperspender demonstrieren, der auf dem Rücken liegt.“
,,Selbstverständlich, das können Sie gerne machen.“
Wieder wechselte ich die Leiche. Dann legte ich meine Hand auf den Thorax.
,,Ursprung Rippe 1 bis 9… Ansatz..“,
Ich drehte mich um und wandte dem Körperspender den Rücken zu. Ich blickte zum anderen Körperspender und holte tief Luft.
,, Also im Prinzip sind das drei Ansatzteile. Ein superiorer, medialer und inferiorer Anteil. Nein, stimmt nicht. Kein medialer, sondern ein intermedialer Teil.“
Ich nannte die genauen Ansatzstellen. Eigentlich hat der Muskel schöne Ansatzstellen an der Scapula. Viel leichter nachzuvollziehen, als die blöde Autochthone Rückenmuskulatur. Allerdings hatte ich allmählich den Punkt erreicht, an dem ich so langsam genug hatte.
Mein Prüfer war absolut nett. Wenn ich mich in der Aufregung vertat, gab er mir Gelegenheit, mich zu korrigieren. Nicht jeder Prüfer verfährt so. Nicht jeder Prüfer ist fair.
Als nächstes wurde ich von ihm aufgefordert, einen Hallux valgus zu erklären.
Entschlossen schritt ich zu den Füßen unserer Leiche und hielt das Großzehengelenk fest, während ich die Sehnenverläufe erklärte. Das, was ich an dem Fuß meiner Schwester nur hatte erahnen und ertasten können, lag hier freigelegt vor mir. Ich bewegte den Musculus flexor hallucis longus des Unterschenkel und konnte beobachten, wie sich die Sehne an der Großzehe mitbewegt. Die untere Extremität bietet in der mündlichen Prüfung einiges an Orientierungspunkten.
Einfach mal an einem Muskel ziehen, es lohnt sich.
Dann war ich durch.
Am Eingang wartete schon der nächste Tischkollege.
Ich erzählte ihm, dass der Prüfer nett ist, gab aber auch zu, dass ich kein gutes Gefühl hatte, bezüglich meiner Abfragung.
Er schien überrascht. Auch die anderen waren später überrascht, als ich ihnen von meiner Einschätzung erzählte.
Ich ging nach Hause. Auch die Ergebnisverkündung variiert von Dozent zu Dozent.
Unser Dozent handhabte es so, dass er der letzten Person, die er prüfte, eine Liste mit unseren Immatrikulationsnummern und Punkten übergab.
Sie leitete diese dann an uns weiter.
Sechs Punkte kann man erreichen. Drei braucht man um zu bestehen. Ich war mir nicht einmal sicher, ob es für zwei Punkte gereicht hatte. Mir war es so vorgekommen, als hätte ich keinen besonders kompetenten Eindruck gemacht.
Daheim hatte ich den Eindruck, wieder Fieber zu bekommen.
Ich döste vor mich hin, schreckte aber jedes Mal auf, wenn mein Handy vibrierte.
Schließlich waren die Ergebnisse da.
Fünf von sechs Punkten. Ich überprüfte meine Matrikelnummer und meine Punkte mindestens sieben Mal.
Ich war zwar ratlos, wieso ich so viele Punkte erreicht hatte, freute mich dafür aber umso mehr.
Geschafft. Drei Testate und zwei schriftliche Klausuren habe ich noch vor mir.
Dennoch geschafft. Das kann mir keiner mehr nehmen.
Und was steht nach dem Testat an?
Am nächsten Tag habe ich ein Biochemie-Testat, für das ich lernen sollte.
Andere haben am nächsten Tag Präpkurs, beginnen mit Modul 2 Präparation in situs.
Lernen sollte man also, wenn man vernünftig sein möchte.
Oder man ist ein bisschen unvernünftig.
Dann geht man auf die Testatparty im Club in der Innenstadt. ,,Gluteus Partymuss“
Eine ausgebuchte Veranstaltung. Medizinerandrang ohne Ende.
Man könnte ja meinen, ein bisschen Unvernünftigkeit ist von Zeit zu Zeit auch gesund.
Es bleibt jedem selbst überlassen, das zu entscheiden.

Autorin:

Audrey
Coucou, mein Name ist Audrey und ich bin eine aufgeweckte Medizinstudentin aus Freiburg!
Derzeit befinde ich mich ich im vierten Fachsemester Humanmedizin der Albert-Ludwigs-Universität. Ich bin unternehmungslustig, neugierig und nehme mich selbst meistens nicht allzu ernst. Hier schreibe ich ehrlich und ungeschönt über das Medizinstudium, das Studentenleben und so manches anderes.
Mach dir doch einfach dein eigenes Bild. Bis dann!
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