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Medizinstudenten in der ersten Vorlesung

Schreckensvorlesung: Nochmal Ersti sein

Meine Hand zittert. Der Zettel in meiner Hand ist zerknittert. Ich bin wahnsinnig angespannt.  Aber das ist nicht ganz unpraktisch. Das hält gleich meine Tarnung aufrecht. 

10 Uhr 53. Mist, ich bin knapp dran.

Eiligen Schrittes durchquere ich das Institutsviertel. Man sieht schon von weitem, wie die letzten eingelassen werden. Sie zeigen ihren Impfausweis vor, manche unterhalten sich. Allesamt sind sie nervös. Also passend zu meiner Anspannung. Ich reihe mich ein.  Wir stehen vor dem Anatomiehörsaal.

Ein junges Mädchen fordert mich auf, meinen Impfnachweis zu zeigen. ,,Ich bin eine der Inkognitos, sind die anderen schon drinnen?” ,,Ah, lustig. Ja die anderen sitzen schon drin. Es geht auch gleich los.” Freundlich lächelt sie mich an. ,,Wir hatten einen Kurs gemeinsam. Ich glaube WDH oder Physio.”  Ich lächele zurück. Ich kann mich nicht erinnern, dieses Mädchen jemals zuvor gesehen zu haben. 

Ich ziehe meine Maske zurecht und folge der schmalen Wendeltreppe nach unten.  Vor der Tür zum Hörsaal zögere ich einen winzigen Moment.

Was sich wohl dahinter verbirgt?

Ich atme tief durch und trete ein.  Der Saal ist voll. Nahezu jeder Platz ist besetzt. Ich lasse meinen Blick durch den Raum schweifen. Sehen sie jünger aus als ich? Naiver? Aufgeregter? 

Ich gehe zur Raummitte und lasse mich am Gang neben ein paar Jungs nieder. 

Sie unterhalten sich aufgeregt. Ob sie sich wohl gerade erst kennengelernt haben?

Als ich den Zettel vor mir auf den Tisch lege, bemerke ich, dass meine Hand noch immer nicht aufgehört hat zu zittern. Der Zettel ist beschrieben mit chemischen Formeln und wildem Gekritzel. ,,BSE-Test…… Man macht sich die Protease-Resistenz des PrP_Sc nicht zunutze bei…”  Eigentlich hätte so etwas nichts in dieser Veranstaltung zu suchen. Aber für das, was wir hier planen , kommt es nicht unrecht ein wenig Verwirrung zu schaffen. 

Ich schaue nach vorne. Noch hat es nicht begonnen. 

Ich bin noch nicht lange Teil der Planung.

Es ist ein beliebtes Vorhaben, bei uns Dritties. Am Ende musste ausgelost werden.  Ich war gerade in mein Anatomiebuch vertieft, dabei für das Anatomie-Eingangstestat zu pauken, da vibrierte mein Handy. Mir waren zwei Videos geschickt worden. ,,Physiohörsaal” und ,,Anatomiehörsaal” stand dabei. Ich blickte noch nicht ganz, worum es sich handelt. Auf dem Video sah man einen ,,Ofa-Med”- Becher unserer Fachschaft, aus welchem kleine Zettelchen gezogen worden. Plötzlich sah ich meinen Namen aufblitzen.  Ich freute mich. Ich würde also dabei sein. Doch ich hatte auch ein wenig ein mulmiges Gefühl. Eigentlich passt mir das nicht sonderlich gut in den Zeitplan. 

Diejenigen, die nicht dabei waren, waren enttäuscht. Manche verließen die Gruppe. Ich steckte mein Handy weg und schlug wieder das Anatomiebuch auf. Weiter geht’s.

Die Geräuschkulisse verstummt. Diejenigen, die den Einlass kontrolliert hatten, betreten den Raum durch den Hinterausgang. Das wollen sie sich nicht entgehen lassen. Ein relativ junger Mann tritt nach vorne. In der Hand hatte er ein Mikrophon. Hinter ihm befindet sich eine Leinwand. 

Ein wenig schade fand ich es, dass der alljährliche Moderator dieser Veranstaltung abgesagt hatte. Jeder weiß, niemand könnte das so gut rüberbringen, wie er es tut.

Naja, es bleibt abzuwarten wie sich der Ersatz schlägt.

Schon schaltet dieser das Mikro an und wendet sich mit einer Begrüßung an meine Pseudo-Kommilitonen. Es ist 11 Uhr, im Physiohörsaal müsst es auch gerade losgehen.

Der Professor beglückwünscht die Studenten zu ihrer Studienwahl und beginnt ein wenig Allgemeines über den Studiengang zu erzählen. Ich höre nicht mehr wirklich zu und beobachte stattdessen die neue Generation Mediziner.

Angehende Mediziner, manchmal finde ich den Gedanken befremdlich. Dann stehe ich im Präpariersaal, halte inne, beobachte die umherhuschenden Studierenden und denke mir ,,Komisch, wir werden mal Ärzte.” 

Plötzlich bemerke ich, wie die ersten Studenten anfangen sich Sachen zu notieren. Ich schlage die Beine übereinander, haha, jetzt wird es interessant.

Der Professor berichtet, dass die Studierenden dieses Jahres das große Glück haben, Teil des ultimativen ,,Masterplan 2021 Medizin” zu sein. ,,Das heißt, der Lehrplan und die Universität Freiburg sehen grundlegende Änderungen für die Studierenden vor.“

Als Beispiel nennt der Professor zunächst die neuen AGs, die optimal auf das spätere Berufsleben vorbereiten sollen. ,,Knigge Medizin”, ein Benimmkurs für Medizinstudierende wird vorgestellt. Auf der Leinwand erscheint ein Bild von einem Grüppchen junger Leute, die sich gegenseitig mit einem Weinglas zuprosten. Den kleinen Finger abgewinkelt vom Glas abstehend und die Nase eingebildet in die Luft gereckt, blicken sie in die Kamera. 

Ich achte darauf, ob einer der Studierenden um mich herum das Gesicht verzieht. Doch derartige Reaktionen bleiben bisher aus. 

Als nächstes wird die AG ,,Farming for Medis” vorgestellt. Ich muss schmunzeln. Es handelt sich um ein innovatives Projekt, um die Landarztquote zu erhöhen. Die Leinwand ziert das Bild von einem Studierenden im Gemüsebeet.

Dann geht es ans Eingemachte. ,,Der Masterplan 2021 sieht vor, dass von nun an jeder 5. bereits im ersten Jahr herausgeprüft wird.”  Jetzt schreiben viele mit. Ein junges Mädchen neben mir zieht die Augenbrauen hoch, während sie sich auf einem kleinen Minnie Mouse-Block Notizen macht.

Der Professor berichtet, dass man den Studierenden nun mehr abverlangen wird. Man solle sich bloß nicht darauf ausruhen, dass man einen Studienplatz ergattert hat.

,,Wenn Sie es nicht schaffen, studieren Sie halt ein Jahr länger. Das ist dann halt so.”

Ich merke, wie manche Studenten angespannter dasitzen. Andere nicken. Sie sind noch am Anfang vom Studium, sie sind bereit, Vollgas zu geben. So deute ich ihr Nicken. 

Es werden die einzelnen Fächer vorgestellt. Für jedes Fach mindestens ein bis zwei vollgeschriebene Präsentationsfolien an Lehrbüchern, zu denen der Professor Kommentare abgibt wie ,,Also das sollten Sie schon ganz gelesen haben.” ,,Der Prometheus ist ja ein ganz nettes Bilderbuch. Kann man sich anschauen, wenn man die anderen Bücher durch hat.”

Jetzt sehe ich kaum noch Studenten, die nicht mitschreiben.

Aus den Augenwinkeln sehe ich eine Bewegung. Es handelt sich um eine Studierende im Rollstuhl. Ich bin etwas fasziniert, da ich noch nie eine Medizinstudentin im Rollstuhl gesehen habe. You go girl. Als der Professor ankündigt, dass die ersten Testate anstehen, schaut sie mich verzweifelt an. Ich lächele sie aufmunternd an. 

Es werde Vorkurse geben, zu den einzelnen Fächern. Aber man sollte es eigentlich nicht nötig haben, diese zu besuchen, meint der Prof abschätzig. Das sollte man schon alles können. Hinter ihm ist ein Stundenplan eingeblendet. ,,Vorkurs Histologie”

Ach ja, Histologie, der Schrecken des zweiten Semesters. 

,,Heute werden wir direkt mit der Leistungsüberprüfung beginnen. Ich hoffe Sie haben sich dementsprechend vorbereitet. Hier sehen Sie den Erwartungshorizont.” 

Er deutet auf die Folie hinter sich.

Hmm, ich weiß ja nicht. Erscheint mir etwas ambitioniert.

,,13. Entstehung der Körperhöhlen”, ein Thema das mir gerade in Anatomie den letzten Nerv raubt. Embryologie, ganz groß dabei beim zweiten großen Anatomietestat.

Ich muss mir ein Lachen verkneifen, als ich höre, wie sich die Studierenden gegenseitig fragen, ob der jeweils andere für heute gelernt hat. Ein paar Reihen vor mir sagt ein Mädchen ,,Ich weiß ja nicht, mich triggert das gerade ein bisschen.” Sie klingt ziemlich entnervt. Ich amüsiere mich köstlich. Der Junge neben mir blickt auf meinen Lernzettel. Vermutlich ordnet er ihn dem Eingangstestat zu.

Das Eingangstestat beginnt. Die Überprüfung erfolgt vermeintlich mittels künstlicher Intelligenz. Dafür müssen alle ihren QR-Code-Impfnachweis öffnen. ,,Die KI scannt gerade..”, der Professor deutet auf die Decke. Ob wohl irgendjemandem auffällt, dass er auf die Feuermelder zeigt?

Plötzlich tauchen auf der Leinwand Namen auf.

,,Jeder Studierende, dessen Namen hier aufgelistet ist, bitte einmal aufstehen. Da ist was schief gelaufen bei der Kennung.”

Ich bin ein wenig überrascht, als ich meinen Namen lese. Ich stehe auf. Dann sehe ich die anderen Stehenden und verstehe. Wir nicken einander zu. Achso. Andere Inkognitos. Sobald unser Name verschwindet, setzen wir uns wieder.

Das Testat beinhaltet interessante Fragen. Ich weiß nicht, ob die jeder aus dem dritten Semester hätte beantworten können. ,,Welche Pathologie liegt hier vor? – Eine Abducensparese natürlich.”

Als das Testat herum ist, werden die restlichen Testattermine genannt. ,,Oh, da müssen die sich aber ranhalten, wenn sie in einer Woche Organische Chemie schreiben wollen.”

Die Ergebnisse des Testats laden…

Konfettianimationen auf der Folie ,,It is just a joke!”

Manche atmen erleichtert auf. Andere blicken es nicht direkt. Ein paar waren wohl von Studierenden aus höheren Semestern vorgewarnt worden.

Der Professor löst auf. Er offeriert, dass die erste Vorlesung immer die Schreckens-Vorlesung ist, bei der die Studierenden spaßeshalber ein wenig verschreckt werden.

Er erklärt weiter, dass es sich um einen Streich handelt, der vor allem von den Drittsemestern organisiert wird. ,,Also diejenigen, die vorhin kurz aufgelistet waren. Die haben sich hier inkognito hereingeschlichen. Vielleicht können Sie sich nochmals kurz erheben?”

Wir tun, wie uns geheißen. Uns wird applaudiert. Ich winke einmal in die Runde. 

Ein Junge aus meiner Reihe spricht mich an. ,,Also was seid ihr?” ,,Drittsemestrige”, antworte ich.

11Uhr40. Ich sehe meine Zeit gekommen, packe meinen Lernzettel und begebe mich geschwind Richtung Ausgang. Mir begegnet der Blick der Studentin im Rollstuhl. Ich lächele nochmals, da spricht sie mich an. ,,Also, ehm…welche Klausurtermine haben jetzt gestimmt?”

,,Ohje! Gar keine! Im ersten schreibst du erstmal nur Termi, also Terminologie, Allgemeine und Organische Chemie, sowie Physik.” Ach was soll’s. Ich stecke den Zettel in die Hosentasche und unterhalte mich einige Minuten mit dem Mädchen. Ich versuche, ihr wichtige Tipps zu geben. ,,Weißt du, es gibt ein paar Fehler, die machen die meisten von uns. Das muss so sein, damit man im Nachhinein schlauer ist. Dennoch sparst du dir extrem viel Zeit und Nerven, wenn du sie erst gar nicht machst. Beim chemischen Praktikum beispielsweise, das noch diese Woche beginnt…”  Ich bemühe mich, der Studentin zumindest ein paar entscheidende Ratschläge zu geben. Dann verabschiede ich mich von ihr.

Sie wird heute noch einer Tutorengruppe zugeteilt. Jede Tutorengruppe hat mindestens einen Tutoren aus dem dritten Semester. Ich hätte also auch Tutor sein können. Doch auch, wenn ich der Studentin liebend gern mehr erzählt hätte, so bin ich doch froh, dass ich keine Tutorin bin. Ich wäre nicht in der Lage, mich den Studierenden ausreichend zu widmen. Ich merke meinen (tatsächlichen) Kommilitonen an, dass es nicht leicht ist, neben unserem Pensum noch weitere Verpflichtungen einzugehen.

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Ich treffe eine Kommilitonin von mir vor dem Histologiegebäude. Gleich beginnt unser Biochemiepraktikum. Wir holen noch unsere Schutzbrillen aus dem Schließfach. 

Während wir zu dem Lehrgebäude Biochemie/Physiologie traben, stellt sie mir Fragen zu einer biochemischen Rechnung. Ich krame den Lernzettel heraus und erkläre ihr meinen Ansatz.

Kurz darauf sitzen wir mit Kittel, Schutzmaske und Schutzbrille bewaffnet in einem Labor. Es ist das erste Mal, dass wir in einem Labor der Universität sind. ,,So, bitte alle Tische ausfahren und zur Wand drehen. Wir schreiben jetzt das Biochemietestat.”

Meine Hand hat nur geringfügig aufgehört zu zittern. 

Ich bestehe das Testat. Dennoch ist das erste Praktikum pure Überforderung. 

Ich habe das Gefühl, heute nicht nur pseudomäßig Ersti gewesen zu sein. Spätestens im Labor war alles an Überlegenheit wieder weg.

Es ist überraschend, wie viel von dem, was sie in der Schreckensvorlesung über Leistungsanforderungen gesagt haben, tatsächlich auf das spätere Studium zutrifft.

Doch man wächst auch daran.

Beim zweiten Biochemie-Praktikum hatte ich mehr Souveränität. Beim zweiten Praktikum hat meine Hand nicht mehr gezittert.

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Ein paar Eindrücke aus dem Planungskomitee:

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