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Leerer Hörsaal Medizinstudium zum Semesterende

Modul 4 und Semesterende: Eine Reflektion Teil 1

Ich stehe im Histologiegebäude. Die Gänge sind leer, nur gelegentlich sieht man einen Mitarbeiter des Hauses vorbeihuschen, bevor dieser wieder hinter einer der vielen Türen verschwindet.

Ich blicke in mein Schließfach.  Die Inventur ergibt: einen zerknitterten Präparierkittel, eine Box mit blauen Handschuhen, eine Sicherheitsbrille und eine aufgehängte FFP2-Maske.

Zudem liegt dort ein loser Zettel, bekritzelt mit biochemischem Kauderwelsch. Er liegt hier seit dem ersten Präpariertermin. Ich hatte ihn bei meinem ersten Laborpraktikum dabei. 

Er war auch dabei, als ich unmittelbar davor in der Schreckensvorlesung der neuen Erstis gesessen hatte. Ich nehme den Zettel heraus. Dann verstaue ich die restlichen Gegenstände in meiner Tasche. Ich nehme mir dabei besonders viel Zeit und horche in mich hinein. Fühle ich etwas bestimmtes? Meine Kommilitonen werden mir später berichten, dass sie sich in dem Moment merkwürdig gefühlt haben.

519. Das ist mein Schließfach gewesen. Ich hatte es mir selbst ausgesucht in der ersten Woche. Nur allzu häufig habe ich mich bei der Studentin von Schließfach 520 entschuldigen müssen, weil mir etwas aus dem Fach gepurzelt war. Doch sie nahm es mit Humor. Wie es der Zufall wollte war sie dem selben Tisch und derselben Kleingruppe zugeteilt worden. Wir verstanden uns gut. Nur allzu häufig standen wir scherzend an den Schließfächern. Gelegentlich witzelten umstehende Studenten mit oder konnten sich zumindest ein Lachen nicht verkneifen. 519 also. Ich entferne mein kleines goldenes Schloss. Dann drehe ich mich um und gehe zum Ausgang. Nur noch sporadisch erkenne ich ein verbliebenes Schloss an einem Fach. Sollten die Besitzer es nicht in den nächsten Tagen geleert haben, wird es aufgebrochen und der Inhalt vernichtet. So die Prosektur.

Ich verlasse das Gebäude.

Über das vierte Modul gibt es so viel zu sagen, dass es schwer ist, Anfang und Ende zu finden. Wenn ich versuche, das zu entzerren, was in der Zeit in mir und manchen meiner Kommilitonen vorging, dann sehe ich mich einem Gewirr an Gedanken und Gefühlen ausgesetzt. Oder auch der Abwesenheit von Gefühlen, wenn sie zu anstrengend wurden.

Jetzt im Nachhinein ist einiges davon verblasst. Anderes ist weiterhin vorhanden. Ärger ist auch dabei. Ich finde es absolut daneben, wie die Testate organisiert wurden.

Aber bevor ich das näher vertiefe, soll zunächst allgemein beleuchtet werden, wie das vierte Modul bei uns strukturiert war. 

Bereits im Vorhinein hatten die Studenten gemunkelt, dass es womöglich komplett digital ablaufen könnte. Doch man hatte sich einen Plan überlegt, wie es im Hybridformat, das heißt teils digital teils als Präsenzveranstaltung, angeboten werden könnte. 

Die Teilnehmer des Präpkurses, also Kohorte A und B, oberer und unterer Saal wurden erneut in Kleingruppen von etwa 7-10 Studierenden aufgeteilt. Für das letzte Modul ist keine Teilnahme von Hiwis vorgesehen.

In unserem Fall waren unserem Dozenten drei Tische mit den zugehörigen Kleingruppen zugeteilt.

.Unser Dozent

Uns war ein Professor zugewiesen worden, der schon länger an unserem Institut lehrt. Dementsprechend hatte man bereits von ihm gehört. Er hat einen nicht unwesentlichen Anteil der (Neuro-)Anatomie-Vorlesungen gehalten und wirkt als Teil der Prosektur an vielem organisatorisch mit. Er strahlt eine gewisse Souveränität aus. Er ist demnach durchaus kompetent, sehr genau und anspruchsvoll. Glücklicherweise ist er zudem auch korrekt, fair und freundlich. Ich scheute mich im Saal nie, Fragen zu stellen. Im Gegenteil, denn er war immer sehr angetan, wenn man sich aktiv am Kurs beteiligte.

.Der Präsenzunterricht und die Präparation

Ab Beginn des vierten Moduls waren unsere Stunden im Histologiegebäude gezählt. Genau viermal sollten wir noch unserer Leiche im Saal Gesellschaft leisten. Einmal die Woche für eineinhalb Stunden in der Kleingruppe standen wir, nach Vorzeigen des Impf-QR-Codes, am Tisch.  Unsere Gruppe hatte anfangs ein wenig Startschwierigkeiten, da unser Körperspender, im Gegensatz zu fast allen restlichen Körperspendern im oberen und unteren Saal, noch kein entnommenes Gehirn hatte. 

Unser erster Präsenztermin sah also so aus, dass wir uns neben der Prosektur und leitenden Anatomen tummelten und dabei zusehen durften, wie man versuchte, das Gehirn zu entnehmen ohne die austretenden Hirnnerven und Circulus arteriosus zu schädigen.

Immer wieder blickten wir auf die Uhr. In den letzten 30 Sekunden unserer Einheit hatte man es dann schließlich geschafft. Einen Blick auf das Gehirn erhascht, dann hieß es auch schon ,,Ab jetzt, die nächste Kleingruppe kommt.” Ich habe nicht den Eindruck, sonderlich viel gelernt zu haben an diesem Kurstag.

Ich habe mit Studenten anderer Tische geredet und viel bei ihren Körperspendern gespickelt. Ich werde wohl niemals das Bild aus dem Kopf bekommen, wie ich mich mit einem Studenten unterhalten habe, der während des Gesprächs locker nebenbei ein halbes Gesicht auf seiner Handinnenfläche balancierte.

,,Was ist das, was da so hängt?”

,,Oh das? Das ist das Gehirn, du.” 

Ich verzog das Gesicht, erwiderte dann aber doch: ,,Die Ohren gammeln bei unserem Körperspender schon, weißt du.”

Jetzt war er es der ein wenig das Gesicht verzog. Dann lachten wir beide. Makaber.

Um ehrlich zu sein, man schaffte es nicht wirklich, das Gehirn unseres Körperspenders in so einer kurzen Zeit zu entnehmen, ohne dass der Arterienkranz darunter litt. Der war dafür bei unserem Nachbartisch besonders schön erhalten. Die Verbindungen der Carotis internae und basilaris waren dargestellt worden, indem man die feinen Arterienäste auf ein Stück Styropor gepinnt hatte. Da unserem Dozenten drei Tische zugeteilt worden waren, konnten wir also die Mängel unserer Präparation mit den zwei anderen Körperspendern kompensieren.

Zwei Dinge die ich an den Nachbartischen besonders eindrucksvoll fand: 

Zum einen die süßen kleinen Gehörknöchelchen. Malleus, Incus und Amboss. Meiner Meinung einfach das Paradebeispiel für perfekt geformte Knochen. Wobei ich auch anmerken muss, dass ich eine gewisse Faszination für das Hör- und Gleichgewichtsorgan des menschlichen Körpers habe. So oder so, die konnte man schön erkennen, die Gehörknöchelchenkette.

Zum anderen die chorda spinalis, cauda equina und der Durasack an der Wirbelsäule der Nachbartischleiche. Wir besprachen mehr als ausführlich das Thema Liquorentnahme und bekamen anhand der Präparation veranschaulicht, weshalb man die Lumbalpunktion in der Regel der Okzipitalpunktion vorzieht. Ich fand das allein deshalb schon faszinierend, weil ich in der Neurochirurgie einmal dabei sein durfte, als eine Chirurgin bei einer Patientin eine Okzipitalpunktion durchführte.

Was man bei unserem Körperspender allerdings besser als an den Nachbartischen nachvollziehen konnte: der Bezug der Gefäße zum restlichen Körper.

So ist jede Präparation auf ihre Weise lehrreich.

Die nächsten Male bekamen wir Hirnschnitte vorgelegt. Ich fand es durchaus anspruchsvoll, dem Dozenten gedankentechnisch zu folgen, als er die Schnitte vornahm.

Wahrscheinlich stellte ich auch deshalb so viele Fragen. Ich bin froh, dass ich es getan habe. In meinem Testat sollte mir unter anderem einen komplizierte Skizze vorgelegt werden, die ich nur dank meiner Frage zum Nucleus dentatus auf Anhieb zuzuordnen wusste. 

.Die Onlineeinheit

Der zweite Termin des Anatomiekurses fand als Online-Meeting über BigBlueButton statt.

Wir bekamen für jeden Kurstermin eine Sammlung von Fällen bereitgestellt, welche wir in Vorbereitung auf das Meeting in Kleingruppen bearbeiten sollten.

Diejenigen, die noch ihr Seminar halten mussten, taten dies ebenfalls online.

Ich muss offen und ehrlich zugeben, dass ich von diesem langen Meeting – unser Dozent zog vier Stunden Meeting mit nur ein oder zwei kurzen, wie er es nannte ,,Biobreaks”, durch – wenig profitierte.

Ich hatte einfach ziemliche Schwierigkeiten, meine Aufmerksamkeit so lange auf meinem Bildschirm zu bündeln. Zudem hatte ich den Eindruck, dass ich mir Gesagtes auch in viel weniger Zeit effektiver selbst beibringen könnte. Insgesamt also eine eher frustrierende Erfahrung für jemanden, der ohnehin schon dauernd von dem Gefühl geplagt ist, nicht genug Zeit zu haben. Als ich irgendwann ab Anbruch der dritten Stunde die Kamera ausschaltete und nebenher meine Wohnung aufräumte, beschloss ich die folgenden Online-Meeting fortan in der UB zu schauen. Das hieß zwar, dass ich mein Mikrofon ausgeschaltet lassen musste, aber es sollte sich herausstellen, dass dieser Ansatz wirklich ein besseres Resultat erzielte. Problematisch wurde es im übrigen dadurch, dass ich einmal beinahe nicht mehr rechtzeitig in das Meeting gekommen wäre, weil in der UB keine freien Plätze mehr verfügbar waren. Außer Atem und völlig durch den Wind verkrümelte ich mich dann im vierten Stock in einen Sessel der hintersten Ecke. Selbst das war effektiver, als daheim nebenbei Klamotten zusammenzulegen.

Ich bin einfach kein Fan der digitalen Lehre. Ich wäre im bisherigen Studium demnach völlig aufgeschmissen gewesen, wenn ich nicht schon immer – also auch zu Schulzeiten schon – dazu tendiert hätte, mir Sachen am liebsten selbst beizubringen.

Genügend Anatomiebücher habe ich ja.


Autorin:

Audrey

Coucou, mein Name ist Audrey und ich bin eine aufgeweckte Medizinstudentin aus Freiburg!

Derzeit befinde ich mich ich im vierten Fachsemester Humanmedizin der Albert-Ludwigs-Universität. Ich bin unternehmungslustig, neugierig und nehme mich selbst meistens nicht allzu ernst. Hier schreibe ich ehrlich und ungeschönt über das Medizinstudium, das Studentenleben und so manches anderes.

Mach dir doch einfach dein eigenes Bild. Bis dann!

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