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Freundschaft, Modul 2, Teil 2
Ich betrete den Saal. Zeige meinen Impfpass vor. Stelle mich an den Tisch.
Wir klappen den Rippenbogen mitsamt der Bauchmuskeln auf, legen es auf das rechte Bein. Wir untersuchen den Körperspender. Was hat sich verändert? Was ist weg? Ich blicke zu der Schale über dem Kopf des Spenders. Ich laufe einmal um den Tisch.
Die Leber habe ich noch nie gesehen. Ich bin nicht begeistert. Ich habe sie mir immer schmaler vorgestellt. Sie ist wuchtig. Wir haben keine pathologisch vergrößerte Leber. Dennoch wiegt sie 1.5 Kilo. Eine Gallenblase befindet sich nicht mehr daran. Später werden wir die Vermutung aufstellen, dass der Körperspender wohl zu Lebzeiten Gallensteine gehabt haben muss. An der Leber befindet sich ein Band. Später werde ich es als das Ligamentum teres hepatis und venosum identifizieren.
Ich meine, das Ligamentum falciforme war anfangs noch zu sehen. Die Area nuda, der Teil, an dem die Leber mit dem Diaphragma verwachsen ist, ist nicht klar abgrenzbar.
Die Nieren sind sichtbar. Ich mag die Nieren. Schöne, kleine, bohnenförmige Organe.
Ich habe mal wieder aus Verzweiflung meine Lernstrategie über den Haufen geschmissen und beschlossen, mich vorzeitig an das Abdomen heranzutasten. Erstmal die primär retroperitonealen Organe. Nieren. Nebennieren. Auf der linken Seite ist die Nebenniere unseres Körperspenders ab. Ich laufe wieder um den Tisch herum. Mein Tischkollege stellt mir eine Frage zum Magen. Eigentlich ein nettes Organ. Im Lehrbuch. Im Situs ist es mal wieder wenig vielversprechend. Ich fahre mit den Fingern die Gefäße entlang, die sich an der großen Kurvatur befinden. Zu diesem Zeitpunkt kann ich sie noch nicht zuordnen.
Klonk. Klonk. Klonk.
Am Fuße der Leiche und der Lavette steht der Dozent. Er schaut uns herausfordernd an. Ich blicke verwirrt zurück.
Klonk. Klonk. Klonk.
Mein Blick wandert zu seinen Händen. Ich ziehe die Augenbrauen hoch. Dazu steht nichts im Skript. Dennoch hatte ich schon so etwas aufgeschnappt, vorhin im Gang. Sie ist relativ schmal.
,,Heute – “, von links und rechts gesellen sich die letzten Tischkollegen zu uns.
,,Heute sägen wir das Bein ab.”
Ich blicke in die Gesichter meiner Kommilitonen und versuche ihren Mienen zu entnehmen, wie sie das finden. Die Augenbrauen wandern entweder in die Höhe oder zusammen.
Der Dozent positioniert die Säge zwischen den Beinen der Leiche. Genau in der Mitte des Beckens. Ich empfinde diese Situation als eine gewisse Zumutung.
Krutschh, krutschhh, krutschhh. Ich atme tief durch.
Krutschh, krutschhh, krutschhh.
,,Will auch mal jemand von euch?”
Vielleicht brauche ich das? Vielleicht fällt mir die Situation dadurch leichter? Einfach konfrontieren.
,,Ja. Darf ich?”, meine Stimme klingt fest. Ich lasse mir die schmale Säge reichen. Achte darauf, dass sie mittig ansetzt. Es ist nicht leicht. Später berichte ich meinen Freunden davon. ,,Ja, aber war es eine Motorsäge?”, werden sie fragen. ,,Nein, eine gewöhnliche Säge.”
Das Geräusch, als ich auf das Os Sacrum treffe, werde ich wohl nie vergessen.
Vermutlich können nicht einmal alle Ärzte von sich sagen, dass sie einmal jemanden in der Mitte durchgesägt haben.
Wenige Tage später werde ich einem befreundeten Nicht-Mediziner davon erzählen. Ich bin zu diesem Zeitpunkt sehr müde. Es ist ein abendlicher Spaziergang im Dunkeln.
,,Echt? Du hast jemandem das Bein abgesägt?” – ,,Ja.” – ,,Und lebt der noch?”
Ich war wirklich müde. Deswegen denke ich nicht weiter darüber nach und antworte mechanisch: ,,Ne, natürlich nicht.”
Die Person reißt erschrocken die Augen auf. Bei mir fällt der Groschen.
,,Oh, aber sie war doch von vornherein tot. Das war im Präpkurs.”, ich muss herzlich lachen.
Als ich die Säge wieder abgebe, kämpfe ich auch mit dem Impuls loszulachen. Zack. Das Bein ist ab.
,,So das können Sie jetzt alles noch schöner ausarbeiten, was man da sieht. Blase, Rectum, Harnleiter, Prostata und den Rest.”
Becken. Nein, ich stelle mich stattdessen zu den Nieren. Auf der einen Seite sind die kleinen Kelche, auf der anderen Seite die Leitungsbahnen besser zu sehen. Ich zupfe mit der runden Pinzette Fett ab. Zwischendurch betrachte ich gemeinsam mit einer Kommilitonin das abgesägte Bein. Es wurde abgenommen und verkehrt herum hingelegt. Das heißt, direkt unter dem Becken befindet sich der Fuß. Auf dem anderen Bein liegt der knöcherne Thorax. ,,Also von dem hier – “, sie deutet vage auf den Körperspender. ,,Von dem hier könnte ich wirklich Alpträume bekommen.”
Ich mag sie. Sie ist ein reflektierter Mensch. Auch, wenn ich nicht immer ihre Meinung zu allem teile, finde ich gut, dass man mit ihr über das Präpen reden kann, ohne das Dinge beschönigt werden. Wir führen eine imaginäre Liste mit Aussagen, die man nur im Präpsaal als angemessen ansehen kann. ,,Bitte alle Organe über den Kopf der Leiche.”, beispielsweise. Oder: ,,Ach wir müssen mal wieder die Beine gießen.”
,,Wenn Sie den Thorax besser verstehen wollen, können Sie sich ja beim Metzger ein ganzes Hähnchen kaufen und das aufschneiden.”
Unsere Liste ist wirklich nicht kurz.
Die Zeit geht schnell rum an dem Tag. Vor dem Präpsaal warten Freunde von mir. Ich habe sie zu mir eingeladen. Kinderpunsch-Glühwein-Anatomie-Abend.
Und wer den Präpkurs geschoben hat, der sitzt einfach da und lernt Physio oder Biochemie.
Es wird ein schöner Abend. Es ist das, was wir alle gerade gebraucht haben.
In wenigen Tagen haben die ersten meiner Freunde bereits ihr Testat.
Ich beobachte von Tag zu Tag, wie die Anspannung bei ihnen zunimmt.
Bei uns allen. Man begegnet sich im Gang des Histologiegebäudes und tauscht ein müdes Lächeln aus.
Im Biochemiepraktikum arbeite ich mit einem Kommilitonen zusammen, der so angespannt ist, dass ich ihm am liebsten zwischen die Rippen pieksen würde, um Spannung abzulassen. Vielleicht hat er ja einen Pneumothorax.
,,So entspannt wie du wäre ich auch gerne.”, sagt eine Kommilitonin zu mir, als wir in der Pause des Praktikums vor dem Lehrgebäude stehen. Ich höre es wirklich nicht zum ersten Mal. Ich ziehe die Augenbrauen hoch. Meine Freunde müssen lachen, als ich ihnen davon erzähle. Ich bin nicht gelassen. Ich stehe selbst unter enormer Anspannung. Ich habe nun immer häufiger Bauchschmerzen, so verkrampft bin ich innerlich.
Doch, wenn man mit Menschen zu tun hat, die die Nerven verlieren, dann gibt es eine Rollenverschiebung. Dann strahlt man Zuversicht aus. Dann bietet man dem anderen Stabilität. Meine Freunde und ich, wir wechseln uns ab damit.
Der Reihe nach verlieren sie die Nerven, unmittelbar vor ihrem jeweiligen Testat.
Ich fahre abends noch zu ihnen, muntere sie auf, spreche mit ihnen Sachen durch, bin für sie da.
In der Zeit bin ich ruhig.
Das dritte Semester zeigt mir deutlicher denn je:
Ohne gute Freunde übersteht man das Medizinstudium nicht.
Autorin:

Audrey
Coucou, mein Name ist Audrey und ich bin eine aufgeweckte Medizinstudentin aus Freiburg!
Derzeit befinde ich mich ich im vierten Fachsemester Humanmedizin der Albert-Ludwigs-Universität. Ich bin unternehmungslustig, neugierig und nehme mich selbst meistens nicht allzu ernst. Hier schreibe ich ehrlich und ungeschönt über das Medizinstudium, das Studentenleben und so manches anderes.
Mach dir doch einfach dein eigenes Bild. Bis dann!
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