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Abwarten: Nachtrag
Ich bin auf dem Weg zur UB. Meine Tasche vibriert.
Ich steige vom Rad und nehme ein Telefonat an.
Es ist eine Kommilitonin, von der ich schon seit Stunden auf ein Lebenszeichen gewartet habe.
Sie ist eines meiner Anatomie-Nachschreiberkrümelchen, wie ich die Mannschaft genannt habe.
Vor wenigen Stunden waren die Musterlösungen der Nachschreibeklausur veröffentlicht worden. Von den meisten Krümelchen hatte ich binnen weniger Minuten Entwarnung erhalten. Wenige fehlten noch. Doch ich hakte nicht nach.
Mit einer derartigen Situation geht jeder anders um. Wenn ich nicht bestanden hätte, müsste ich das erstmal mit mir selbst ausmachen, bevor ich mich bei meinen Freunden melden könnte.
,,Na du! Wie geht’s dir?“
,,Audrey! Ich hoffe, ich störe dich nicht. Was machst du gerade?“
,,Ich treffe mich mit einer Freundin in der UB, bevor ich zur Arbeit gehe. Jetzt schiebe ich mein Fahrrad gerade durchs Institutsviertel. Also du störst nicht, alles gut.“

,,Mensch, Audrey, ich musste dich gerade einfach anrufen. Ich habe gerade zwei fürchterliche Stunden hinter mir. Nachdem die Musterlösungen raus waren, habe ich mit zittrigen Fingern meinen Aufgabenbogen herauskramt.“
Ich nickte vor mich hin. Die Situation ist mir bekannt.
,,Und dann waren es einfach 16 Punkte. Zwei zu wenig. Ich habe Krise geschoben. Heulend mit meiner besten Freundin telefoniert, von wegen, ‚Ich bin eine Versagerin. Ich muss das Physikum verschieben.'“
Ich blieb stehen. Mitten im Institusviertel, zwischen dem Gebäude der Rechtsmedizin und dem Anatomischem Vorlesungsgebäude. Bei dem alten Anatomischen Saal sind stets die Lösungen bzw. Ergebnisse aktueller Prüfungen und wichtige Ankündigungen ausgehängt. Ich konnte sie von der Ferne erahnen.
Ich schwieg. Sie wirkte, als hätte sie noch nicht geendet.
,,Und jetzt kommt es: Nach zwei Stunden habe ich mich zusammengerafft und mir den Bogen erneut vorgeknüpft. Dabei dann 19 Punkte gezählt. Dann habe ich den Bogen ruhen lassen.“
Ich atmete auf. Ich hatte mit gefiebert. ,,Ach duuu…“
,,Ich habe mir nur gedacht, ich muss dringend Audrey anrufen und ihr Bescheid sagen. Das ist einfach was, dass dir passieren könnte.“
,,Jep, jep. Ist es tatsächlich. Zweimal schon. Phu. Das klingt nach einer Menge Aufregung.“
,,Ja, du sagst es!“
,,So sehr ich mich auch freue, dass du durchgekommen bist – glaub mir, ich habe mitgefühlt – muss ich dennoch erwähnen, dass es auch kein Weltuntergang gewesen wäre, das Physikum zu verschieben. Ich habe mit einer Freundin, die vorhin einen ähnlichen ‚rollercoaster‘ durchgemacht hat, wie du, das worst-case-scenario durchgespielt. Im Ernstfall hätte es nur bedeutet, dass du mehr als 30 Tage Zeit hättest, um auf das Physikum zu lernen. Mehr Zeit, um den Stoff des bisherigen Studiums gescheit zu wiederholen. Aber ja, was soll ich sagen? Ich kann deine Situation nachfühlen, ich weiß selbst, dass solche Tatsachen dann nicht mehr zu einem durchdringen. Zumindest anfangs nicht.“
Wir unterhielten uns noch lange. Wie die anderen Nachschreiberkrümel musste sie mir versprechen, sich nun etwas Gutes zu tun.
,,Koch dir was Leckeres. Gönn dir etwas. Sei stolz auf dich. Du hast ganz toll durchgehalten. Ich bin stolz auf euch.“
Nun ja. Das Tohuwabu der Nachschreibeklausur sollte noch nicht beendet sein.
Noch am selben Tag stellten einige fest, dass sie einen Punkt zu wenig haben.
Es wurde verlautet, dass die Ergebnisse neu ausgewertet würden.
Wieder hieß es Abwarten.
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Einige Tage später.
Ich sitze auf dem Fahrrad und radele durch das Institutsviertel. Offensichtlich bin ich ein Mensch, der zu Routinen tendiert.
Anatomiegebäude. Glaswand. Ich erkenne die zwei Gestalten wieder, die dort herumwerkeln.
,,Ich glaube die Prosektur hat eure Ergebnisse soeben aufgehängt @dieAnatomienachschreiber.“, schreibe ich in eine Gruppe.
Wenig später telefoniere ich mit einem der betroffenen Kandidaten.
,,Hast du das geschrieben?“ – ,,Jep. Bin gerade an dem Gebäude vorbeigeradelt und habe gesehen, wie die das aufgehängt haben.“
,,Das heißt, du hast es nicht abfotografiert?“ – ,,Ehm. Nö. Ich hatte es eilig und habe nicht daran gedacht.“
,,Wow, Audrey, danke für gar nichts haha.“
Wir müssen beide lachen.
Nun ja, die neuen Ergebnisse waren nicht für alle positiv. Viele hatten nun einen Punkt mehr. Doch die Bestehensgrenze wurde auch um einen Punkt hochgesetzt.
Für meine Nachschreiberkrümelchen änderte sich zum Glück nichts.
Doch es haben nun auch Leute nicht bestanden, die sich davor in Sicherheit gewogen haben.
Einer davon wollte jetzt zur kostenlosen studentischen Rechtsberatung unserer (OfaMed) Fachschaft. Ich behalte das mal aus dem Rande im Auge.
Ich muss jedoch feststellen: In meinem ganzen bisherigen Studiumsverlauf habe ich kein einziges Mal mitbekommen, dass es wegen einer Klausur so viel Hin und Her gab.
Nun ja. Jetzt sind meine Schiffchen jedenfalls im sicheren Hafen und somit bereit, neu Kurs aufzunehmen.
Volle Fahrt voraus gen M1: Physio- und BC-Schein to go.
Autorin:

Audrey
Coucou, mein Name ist Audrey und ich bin eine aufgeweckte Medizinstudentin aus Freiburg!
Derzeit befinde ich mich ich im vierten Fachsemester Humanmedizin der Albert-Ludwigs-Universität. Ich bin unternehmungslustig, neugierig und nehme mich selbst meistens nicht allzu ernst. Hier schreibe ich ehrlich und ungeschönt über das Medizinstudium, das Studentenleben und so manches anderes.
Mach dir doch einfach dein eigenes Bild. Bis dann!
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